WAS ZUR GLEICHBERECHTIGUNG NOCH FEHLT

»Viele Frauen werden nicht ausreichend ermutigt und gefördert«

Frauen halten die Wirtschaft innovativ und dynamisch: Als Unternehmerinnen, als Wissenschaftlerinnen, als Gründerinnen, als Führungskräfte und Fachkräfte. Dennoch sind Frauen in den Führungsriegen und Vorständen nach wie vor deutlich unterrepräsentiert, bekommen im Schnitt weniger Gehalt und gründen eher seltener eigene Unternehmen.

Wir befragten zu diesem Thema Eva Bredow-Cordier, eine engagierte Frau in einer Führungsposition. Sie verantwortet die Unternehmenskommunikation und das Marketing der Klinikum Darmstadt GmbH.

Eva Bredow-Cordier verantwortet die Unternehmenskommunikation und das Marketing der Klinikum Darmstadt GmbH. Die Politikwissenschaftlerin M.A. (geb. 1964, verheiratet, drei Kinder) hat nach ihrem Volontariat beim Darmstädter Echo zunächst frei für Zeitungen, Institutionen und PR-Agenturen und dann dreizehn Jahre bei der Stadtverwaltung der Wissenschaftsstadt Darmstadt gearbeitet, zuletzt als stellvertretende Pressesprecherin.

FRAGEN:

Die Selbstverpflichtung der Wirtschaft, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen, ist inzwischen 14 Jahre alt – und der Frauenanteil in Vorständen weiterhin gering. Warum ist das so?

Eva Bredow-Cordier: Weil es keine Quote gibt? Gründe gibt es viele, Ansichten, warum das so sei, auch. Die reichen vom Argument, ein Großteil der Frauen wolle das gar nicht, bis zur viel zitierten gläsernen Decke. Ich denke, die Wahrheit ist wie immer vielschichtig. Aber eines steht für mich fest: Die Selbstverpflichtung ist halt leider ein Lippenbekenntnis und echte Chancengleichheit von Frauen und Männern auch heute noch keine gelebte Realität. Viele Frauen werden nicht ausreichend ermutigt und gefördert. Wahre Emanzipation fehlt eben oft noch in den Beziehungen und Familien und die Dreifachbelastung zwischen Beruf, Familie und Haushalt ist auch heute noch nicht überall gleich aufgeteilt.

Sind Frauen die besseren Führungskräfte bzw. den Männern in emotionalen und sozialen Kompetenzen tatsächlich voraus? Führt ein höherer Frauenanteil dazu, dass besser zugehört und stärker aufeinander eingegangen wird? Oder ist das nur ein Klischee?

Eva Bredow-Cordier: Frauen werden besondere emotionale Intelligenz und Teamfähigkeit attestiert. Aber diese weiblichen Attribute werden allzu oft noch nicht mit guter Führung gleichgesetzt. Gute Führung unterstellt man eher denjenigen, die ein starkes Selbstbewusstsein und Auftreten haben. Wir sollten also die weiblichen Attribute fördern und mehr in den Blick nehmen, um sie gewinnbringend für einen neuen Führungsstil einzusetzen. Und das gelingt auch heute schon in immer mehr Betrieben. Ich habe das Glück in einem Unternehmen zu arbeiten, in dem es zumindest unter den Abteilungsleitungen einen sehr ausgeglichenen Anteil der Geschlechter gibt. Das erlebe ich seit mehr als vier Jahren als ausgesprochen angenehm. Und ja, das hat ganz konkrete Auswirkungen auf die Kommunikation und den Umgang mit allen Kolleginnen und Kollegen. Also meiner Erfahrung nach klappt die Zusammenarbeit im Team dann besonders gut, wenn Frauen und Männer auf Augenhöhe zusammenarbeiten.

Trotz gleicher Qualifikationen – ungleiche Chancen … was müsste sich aus Ihrer Sicht verändern, damit Frauen und Männer in Unternehmen die gleichen Aufstiegschancen haben?

Eva Bredow-Cordier: Männer müssten wie Frauen für Arbeitgeber die gleichen Risiken bieten: Nämlich die, wenn Kinder kommen, für sie zu sorgen. Solange die Hauptlast der Erziehung – und sei es nur der ersten Jahre – die Frauen übernehmen, sind sie auch diejenigen, die ab 30 Jahren die Gefahr bieten, für Monate oder Jahre auszufallen. Daran ändert auch das neue Elterngeld nichts, was neue Väter heute dazu nutzen, mit Kind und Frau zwei Monate Auszeit zu verbringen. Auch wenn dies ein Schritt in die richtige Richtung ist, der Durchbruch ist das noch lange nicht. Erziehung und Rollenbilder wirken lange nach. Aber natürlich gibt es Veränderungen; die sind da, das sehe ich deutlich an meiner heute 22 Jahre alten Tochter, wenn ich sie und ihr Selbstwertgefühl mit meiner Generation vergleiche. Die Hinwendung zu Frauen ist ja auch demografisch gesehen ein Muss: aufgrund des Fachkräftemangels müssen Frauen, Migranten und Ältere mehr in den Blick genommen und gefördert werden. Damit aus unserer Gesellschaft eine geschlechtergerechte wird und jeder Mensch unabhängig von seinem Geschlecht frei sein Lebensmodell leben kann, müssen sich aber auch grundlegend die finanziellen Rahmenbedingungen ändern. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! Und das Steuergesetz muss auf den Müllhaufen der Geschichte: Es gehört schon viel Frust und Willen dazu, auf Lohnsteuerklasse 5 dazuzuverdienen und über Jahre das mickrig übriggebliebene Netto für Kinderbetreuung und Fahrtkosten aufzuwenden. Die finanzielle Wirklichkeit und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geben Frauen eben auch heute noch nicht wirklich die Wahl. Wir sind auf dem Weg, aber das Thema muss noch in vielen Punkten weiter getragen werden. Und das gerne in schnelleren Schritten als bisher.

Was waren die größten Stolpersteine in Ihrer beruflichen Karriere? Und wie haben Sie sie gemeistert – besonders hinsichtlich der Familie?

Eva Bredow-Cordier: Ganz klar die Schwangerschaften und Geburten meiner drei Kinder. Genau betrachtet, habe ich mich dabei drei Mal ins berufliche Aus geschossen. Damit sage ich nicht, dass ich das Kinderkriegen bereue, im Gegenteil, das ist das Beste, was mir das Leben bisher geboten hat – aber realistisch gesehen muss ich das einfach so konstatieren. Dass das Modell jetzt so gut klappt, das liegt daran, dass mein Mann sich genauso um die Kinder, den Haushalt und alles andere kümmert wie ich – und wir uns gegenseitig den Rücken freihalten, um beide Karriere und Beruf vereinbaren zu können. Und daran, dass unsere Kinder ganz viel Selbstverantwortung für sich und ihr Leben übernehmen. Und ehrlich gesagt, fühle ich mich dabei immer noch herrlich „männlich“ frei: Endlich spielt es keine Rolle mehr, um Punkt irgendetwas zu Hause zu sein. Das ist ein unglaublich freies Gefühl nach 23 Jahren als berufstätige Mutter. Ein Schritt, der unsere Gesellschaft enorm verändern würde, wäre eine Reduzierung der Arbeitszeiten für alle auf maximal 30 Stunden pro Woche – so hätten alle mehr Zeit füreinander, für die Kinder und die alten Eltern, für Karriere und vielleicht sogar soziales oder politisches Engagement.

Wenn Sie Frauen, die nach oben wollen, drei Tipps geben könnten, welche wären das …?

Eva Bredow-Cordier: Mut und Entschlossenheit, den Weg zu gehen – auch gegen Widerstände. Das schlechte Gewissen, eine Rabenmutter zu sein, über Bord zu werfen: Wir können und dürfen uns nicht nur über unsere Kinder oder Männer definieren. Sie sind nicht Mittel und Zweck unseres Seins. Die Zeit der Kindererziehung ist auch viel zu kurz, um das lange Leben darauf auszurichten. Außerdem ist eigene Erwerbstätigkeit das beste Mittel gegen Altersarmut. Das Leben bietet so viele Möglichkeiten und immer wieder neue Wege, die wir nutzen können, wenn wir für uns einstehen und auch finanziell unabhängiger sind. Und als Drittes: keine Angst vor Neuem und Veränderungen haben.