
Immer mehr Branchen entdecken die Magie der Düfte
Einmal ist die Nase unsere größte Wonne, wenn sie etwa frisch gebackenes Brot mit seinen Aromen schon aus der Ferne zur Delikatesse werden lässt. Ein andermal kann sie aber zur Last werden, wenn zum Beispiel menschliche Ausdünstungen oder der Gestank von Müll unser Riechorgan erreichen. Doch egal ob verlockende oder eklige Gerüche: Unterschiedliche Düfte lösen unterschiedliche Emotionen aus. Sie steuern unsere Gefühle, mehr als uns bewusst ist. Unsere Nase ist es, die entscheidet, was uns schmeckt, was wir lieben und wen wir nicht riechen können.
Von Nicola Wilbrand-Donzelli

Im Vergleich zum Hören und Sehen ist die Fähigkeit ‚Witterung aufzunehmen‘ der älteste unserer Sinne. Riechen weckt gewissermaßen den Neandertaler in uns. Denn Geruchsmoleküle, die durch die Nase steigen, beeinflussen den Menschen unmittelbar. Unsere Vorfahren schützte dies insbesondere vor Gefahren, etwa wenn sie auf der Jagd waren. Genauso wie bestimmte Düfte uns heute unverzüglich warnen, wenn wir beispielsweise verdorbene Lebensmittel riechen beziehungsweise Gas oder Feuerqualm einatmen.
Duft kann aber genauso betören und Wohlgefühl auslösen. Spätestens seit Patrick Süßkinds Roman „Das Parfum“ ist literarisch verewigt, welche Verführungsfähigkeit Gerüche haben können. „Es gibt eine Überzeugungskraft des Duftes, die stärker ist als aller Worte Augenschein, Gefühl und Wille. Sie erfüllt uns vollkommen, es gibt kein Mittel gegen sie“, heißt es in dem Buch.
Hinzu kommt, dass Gerüche meist mit Erinnerungen und Erfahrungen verbunden sind etwa aus Kindheitstagen. Dann entstehen vor unserem inneren Auge automatisch die Bilder, die der jeweilige Duft heraufbeschwört: Wie etwa blühender, wohlriechender Flieder und spielende Kids an einem Frühlingsnachmittag.
Manche Aromen begleiten uns aber bereits von Geburt an. So ist das Bukett von Vanille bei fast allen Menschen positiv besetzt, weil es offenbar an den Geschmack von Muttermilch erinnert. Der süßliche Charakter des Duftstoffes – das haben Wissenschaftler herausgefunden – weckt deshalb bei den meisten ein Gefühl von Geborgen- heit und Vertrauen.
Dass Riechen so schnell Reaktionen bei uns hervorruft, liegt an den biochemischen Prozessen, die sich in Nase und Gehirn abspielen. Gelangt Atem-Luft samt der Umgebungsdüfte auf unsere Riechschleimhäute, die mit unzähligen kleinen Rezeptoren-Härchen ausgestattet ist, warten dort rund 10 Millionen spezialisierte Nervenzellen darauf, die elektrischen Impulse des Wahrgenommenen in Einzelwirkstoffe aufzuschlüsseln und an das Gehirn weiterzuleiten. Der Reiz gelangt dann auf direktem Weg zum Limbischen System, dem archaischen Teil des Hirns, der für Emotionen zuständig ist. Hier wird schließlich unterschwellig und nicht vernunftkontrolliert über die eintreffende Duftinformation sofort ein Gefühl – sei es Freude, Angst oder Ekel – erzeugt. Erst etwas später gelangen die Riech-Impulse, die sich aus bis zu 500 Einzelkomponenten zusammensetzen, in die jüngere für das Bewusstsein zuständige Hirnregion des Neocortex (Großhirnrinde) und werden als bestimmtes Odeur identifiziert.
Der Fakt, dass Düfte direkt auf unser Gemüt einwirken und zunächst an unserem Verstand vorbeirauschen, nutzt in letzter Zeit auch zunehmend die Wirtschaft. Das Interesse von Unternehmen am menschlichen Ur-Sinn geht aber weit über die Kosmetik- und Parfum-Branche hinaus. So ist Sent-Marketing, wo mit olfaktorischen (duftenden) Reizen gearbeitet wird, mittlerweile eine beliebte Strategie, um bestimmte Produkte oder Labels zu bewerben und Düfte gezielt zur Verkaufsförderung einzusetzen. Manchmal sollen Düfte aber auch dabei helfen, eine Marke emotional aufzuladen. Es ist dann gewissermaßen eine über das Riechorgan transportierte ‚corporate identity‘.
Bei der ‚Verführung‘ von Kunden mittels der physiologischen Wirkung von Geruchsmolekülen besteht die Kunst vor allem darin, in unserer Erinnerung positiv besetzte Düfte in einer Konzentration auszubringen, die eher dezent ist und gerade eben über der Wahrnehmungsschwelle liegt. Eingesetzt werden solche eher unbewusst erlebten Werbemittel vornehmlich im Textil- oder Lebensmittelhandel. Aber auch in der Automobilindustrie ist Geruchsmarketing schon länger ein Thema. Hier können etwa subtile Noten von Holz und Leder die Wertigkeit von Ausstattungsmaterialien unterstreichen und so den Kunden etwa beim Neuwagenkauf ein Stück weit mehr von der Qualität des Produktes überzeugen.

Verantwortlich für die Kreation von Düften sind professionelle Sense-Designer, deren hochsensible und gut trainierte Nasen das wichtigste Arbeitsinstrument sind. Dabei reicht das Betätigungsfeld vom Entwerfen von Parfums für große Modehäuser in Paris oder Mailand bis hin zum Entwickeln von appetit- anregendem rauchigem Grillgeruch etwa für eine Fastfood-Kette.
Einer, der weiß, wo die geheime Macht der Düfte in Zukunft außerdem noch eine größere Rolle spielen könnte, ist der Darmstädter Fotograf René Antonoff. Vor drei Jahren hat ihn – wie er erzählt – die Droge ‚Duft‘ zum ersten Mal gepackt, so dass viele seiner Buch- und Werbeprojekte mittlerweile mit der Thematik zu tun haben. „Mein Einstieg in das Duft-Abenteuer war die fotografische Beschäftigung mit exklusivem Möbeldesign aus uraltem Zirbelholz, das in den höchsten Alpenregionen wächst und dessen Harze ein Aroma ausstrahlen, das ungemein beruhigt und für Wohlbefinden sorgt. Danach waren es unter anderem die Düfte von Gärten und Rosen, die ich in meinen Bildern versucht habe mittels Farben und Licht zu visualisieren, genauso wie die Beschäftigung mit der faszinierenden Arbeit von angehenden und renommierten Parfum-Designern, die ich in den ‚Super-Nasen-Hochburgen‘ in Grasse und Paris begleitet und mit der Kamera beobachtet habe.“

Ein weiteres innovatives Wirkungsfeld, in dem sich die Magie der Düfte entfalten wird, ist wohl die Architektur. Das Ziel bei der Gestaltung von Interieurs sei, ergänzt Antonoff, Räumen durch den dezenten Einsatz von bestimmten Aromen eine olfaktorische Identität zu geben und dadurch gleichzeitig ein Erlebnis zu schaffen. „An solchen unaufdringlichen aromatischen Ausstattungskonzepten, die sich nicht selten an der Natur wie zum Beispiel angenehmem Waldduft orientieren, sind bisher vor allem Hotels, Kongresscenter oder Ladengeschäfte interessiert. Und sogar in manchen Krankenhäusern, Kindergärten und Bahnhöfen sollen die unsichtbaren Wohlfühl-Hilfsmittel zum Einsatz kommen.“
Noch sind solche Ansätze in Europa aber Pionierarbeit. Es tue sich aber gerade eine Menge auf diesem Gebiet, betont der Duftexperte. „Es ist gut, dass der Geruchsinn nun wieder in einigen Bereichen neu entdeckt wird und an Bedeutung gewinnt. Denn unsere Gesellschaft ist durch Schule und Erziehung vor allem visuell trainiert. Die Duft-Sensorik ist so mit der Zeit verkümmert, obwohl unsere erste sinnliche Erfahrung nach der Geburt das Riechen beziehungsweise das Schmecken ist. Das sollten wir wieder vermehrt lernen.“








FOTOS von René Antonoff