Neue Ideen für alte Marktplätze

Mieten runter, Menschen rein

Kaum ein Raum prägt unser Bild von Stadt so sehr wie das Stadtzentrum. Die Innenstadt ist Mittelpunkt, Visitenkarte, Sehnsuchtsort und Standortfaktor. Doch unsere Innenstädte befinden sich seit vielen Jahren in einem tiefgreifenden Strukturwandel. Die Corona-Pandemie wirkt hierbei als zusätzlicher Beschleuniger.

Der Wandel im Handel reißt Lücken. Die Stadt braucht den Handel. Nur stellt sich gerade die Frage, ob der Handel in Zukunft die Stadt noch braucht. Fast 80.000 Geschäfte werden in den nächsten Jahren schließen, das befürchtet zumindest der Handelsverband. Dafür gibt es viele Gründe: Weil die großen Kaufhäuser schließen, weil es Discounter gibt oder weil der Internethandel alles kaputt macht. Weil es zu viele Malls auf der grünen Wiese gibt oder weil der Autoverkehr alles zerstört. Und jetzt, weil es Corona gibt. Das alles wird die Innenstädte nachhaltig verändern. Aber wie werden sich Städte und Gebäude verändern müssen, um sie wieder mit mehr Leben zu füllen? Sinnvolle Maßnahmen für die Belebung sind gefragt. Dienstleistung und Konsum allein reichen wohl nicht aus, um das zu realisieren, was städtisches Leben ausmacht: soziale und funktionale Mischung.

Krise ist immer auch Chance. Vielleicht liegt die Chance im Zwang zum Experiment, um der Stadt neue Wege zu öffnen. Was derzeit ausprobiert wird, zeigen folgende Beispiel:

In einigen Metropolen wird die City immer exklusiver. Der Trend geht hin zum Shopping-Erlebnis für Eingeweihte – auf diese Weise setzen sich Marken von der allgegenwärtigen Konkurrenz ab. Hinter unscheinbaren Türen laden sie handverlesene Kunden ein. Die Ansprüche steigen für alle Händler. Nullachtfünfzehn geht nicht mehr, Läden werden von Licht- und Aromadesignern zu Erlebniswelten verwandelt.

Der städtische Boulevard lockt zunehmend Händler an, die man bislang kaum in der City fand. Zu den ersten Lückenfüllern für städtische Handelsflächen gehören ausgerechnet jene, die diese nach dem gängigen Klischee verursacht haben. Die Onlinehändler entdecken die City, und präsentieren ihre Warenwelt nun auch zum Anfassen. Während alle Welt noch auf das erste Amazon-Kaufhaus wartet, eröffnen kleine Spezialisten aus dem Netz bereits erste Offlinepräsenzen in verschiedenen Städten.

Die Nachfrage nach 1-A-Lagen steigt – dafür bröckelt es an den Rändern. Immer mehr Autohäuser zieht es von der grünen Wiese in die Innenstädte. Sie empfangen ihre Kunden statt an der Ausfallstraße immer häufiger in einem schicken City-Center. Die Ausstattung wird online zusammengestellt, die Probefahrt beginnt im Parkhaus.

Ladenbetreiber und -eigentümer verabredeten sich immer häufiger zur Vermarktung eines gesamten Quartiers. Sie wollen ihr Viertel durch kollektive Finanzierung verkaufsfördernd aufpolieren. In Hamburg wurden rund um den »Neuen Wall« mit gemeinsamen Mitteln die Fassaden diverser Gebäude saniert, die Bürgersteige verbreitert und neue Parkflächen geschaffen.

Gegen den schnellen Wandel lässt sich auch auf Zeit spielen, etwa indem man aktuell nicht vermietbare Flächen eine Zeit lang günstig nutzen lässt. In Berlin gibt es Zwischennutzungs-Agenturen, die leerstehende Gebäude vermitteln. Leerstehende Läden können vorübergehend als Pop-up-Stores vermietet werden. Mit diesem Konzept können Bürger und kleine Einzelhändler neue Geschäftsideen testen und prüfen, ob diese bei den Bürgern ankommen.

Wohnraum in der Stadt ist knapp, gleichzeitig gelten große ehemalige Warenhäuser als schwer vermietbare Insolvenzmasse. Warum daraus nicht Apartments machen? Dazu müssten allerhand Hindernisse überwunden werden. Umbauten in diesen Gebäuden sind schwierig. Für leerstehende Kaufhäuser bieten sich weitere Lösungen an: Im ehemaligen Karstadt-Warenhaus in Siegen finden bereits Uni-Seminare und Vorlesungen statt. In Kassel beispielsweise werden im Erdgeschoss regionale Produkte angeboten.

Viele Einzelhandelsimmobilien werden trotz allem nicht zu retten sein. In vielen Kleinstädten ist der Händler- und Bevölkerungsschwund kaum aufzuhalten. Der Abriss bleibt das letzte, aber nicht immer schlechteste Mittel: Er schafft neuen Platz. Mit urbaner Landwirtschaft lassen sich Baulücken auf produktive Weise schließen. In New York gibt es bereits 700 städtische Farmen, eine davon auf 4.000 Quadratmetern. Das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik erforscht derzeit spezielle, für Städte geeignete Anbaumethoden.

Viele Immobilien kranken an zu großen Erwartungen und zu großen Dimensionen. Vor zehn Jahren eröffnete Thalia noch Buchläden mit Grundflächen von bis zu 2.000 Quadratmetern, heute gelten 500 bis 600 Quadratmeter als neues Idealmaß. Der Trend zu kleineren Geschäften erfordert flexible Wände und Denkweisen.

In zahlreichen Städten sind bereits Projekte zur Unterstützung der Innenstädte und der Händler umgesetzt worden. Viele Städte setzen auf Gutschein-Lösungen, um den ansässigen Handelsbetrieben unter die Arme zu greifen. So kann man auch in Darmstadt Gutscheine im Wert von 10 bis 200 Euro online kaufen und in den teilnehmenden Läden einlösen. Das Besondere daran: Auf jeden eingelösten Gutschein, erhalten die Teilnehmer 20 Prozent Rabatt.

Man darf bei der innerstädtischen Belebung nicht allein auf Handel setzen, sondern muss ganzheitlich denken. Berliner Kulturschaffende luden und präsentierten ihre Kunst auf Balkonen. Ein Bus mit Musikern überrascht in der Fuldaer Innenstadt die Passanten. Live-Shows sind eine gute Möglichkeit, Kunden zu inspirieren.

Mit städtebaulichen Maßnahmen können Innenstädte gezielt gefördert werden. Das beweist Kopenhagen, eine Stadt, die sich an Menschen orientiert, die zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs sind. Auch hierzulande sind Städte und Gemeinden gefordert, vor allem das Stadtmarketing. Alle Akteure sollten zusammenarbeiten, um die regionalen Wirtschaftskreisläufe zu stärken und die Innenstädte lebendig zu halten.

Text Hans-Werner Mayer