Mehr Lebensqualität durch weniger Autos

Ein »Heinerblock« ist ein städtisches Quartier ohne Durchgangsverkehr. Grafik: Klimaentscheid-darmstadt.de

Autoarmes Bestandsquartier in Darmstadt geplant

Darmstadt will nach dem Vorbild der spanischen Stadt Barcelona den ersten Superblock Hessens testen. Im Rahmen eines Verkehrsversuchs wagt sich Darmstadt als erste hessische Stadt an die Umgestaltung eines bestehenden Wohnareals in ein autoarmes Quartier. Das Modell könnte landesweit Schule machen.

Die Idee, den öffentlichen Raum für Menschen und Natur wieder attraktiver zu machen und vom motorisierten Durchgangsverkehr zu befreien, fasst auch in Darmstadt immer weiter Fuß. Ein »Heinerblock« soll ein städtisches Quartier ohne motorisierten Durchgangsverkehr werden. Natürlich bleiben alle Gebäude auch weiterhin für Anwohner im Viertel erreichbar. Für die Umsetzung im Rahmen eines vorgeschalteten Verkehrsversuchs kommt ein Quartier im gründerzeitlichen Martins- oder Johannesviertel infrage. Sie gehören zu den beliebtesten Wohnquartieren in Darmstadt. Speziell bei Familien liegen dieses Viertel im Zentrum von Darmstadt hoch im Kurs. Doch die Gassen dieser Bezirke sind an beiden Seiten größtenteils zugestellt mit parkenden Autos, Fahrzeuge kreisen unentwegt um die Wohnblöcke, entweder auf der Suche nach einer der spärlichen Parklücken oder beim Versuch, den Stau auf angrenzenden Hauptverkehrsadern zu umgehen. Die Verkehrssituation in den Vierteln ist – milde ausgedrückt – äußerst angespannt. Im Rahmen des Verkehrsversuchs will die Stadt nun erproben, wie der Durchgangsverkehr weitgehend aus dem Viertel ferngehalten und die Aufenthaltsqualität effektiv gesteigert werden kann. Gleichzeitig sollen die Wohngebäude mit dem Auto weiterhin für Anwohnende und für Rettungsfahrzeuge, Müllabfuhr oder den Lieferverkehr erreichbar bleiben. Reduzierte Geschwindigkeiten sowie verkehrsberuhigte Bereiche vor Kitas oder entlang von Schulwegen sind ebenfalls vorgesehen.

Als Vorbild dient das »Superblock« Konzept aus Barcelona, das die spanische Stadt 2016 im Rahmen eines Plans für nachhaltige Mobilität entwickelt hat. Der erste Superblock wurde in der spanischen Metropole nur ein Jahr später im Stadtviertel »Poble Nou« eingeführt. Bei der Umgestaltung historisch gewachsener Wohnquartiere komme vor allem der Parkraumbewirtschaftung eine zentrale Rolle zu. Das bedeutet, dass Flächen, die derzeit noch von Fahrzeugen belegt werden, flächengerechter an alle Nutzer und Nutzerinnen des öffentlichen Raums verteilt werden sollen. Konkret heißt das: mehr Platz für Fußverkehr, Radverkehr und Freizeitaktivitäten – wie etwa Spielplätze, Gastronomie oder einfach Raum für weitere Aufenthaltsflächen zum Verweilen. Ziel sei es vorrangig, vorhandene Autos aus dem öffentlichen Raum auf private Flächen zu verdrängen. Die Stadt hat bereits beschlossen, dass es ab Sommer 2023 in den Gründerquartieren keine kostenlosen Parkmöglichkeiten mehr geben soll, Anwohnerinnen und Anwohner haben dann die Möglichkeit, einen Parkausweis für etwa 120 Euro im Jahr zu erwerben.

Erfahrungsgemäß führt eine solche Parkraumbewirtschaftung dazu, dass etwa zehn Prozent der Autos aus dem öffentlichen Raum verschwinden, weil private Parkmöglichkeiten, etwa in Hinterhöfen oder Garagen, wieder besser genutzt werden. „Die Stadt sei zudem auf der Suche nach noch mehr bestehenden Quartiersgaragen, die als Parkmöglichkeit genutzt werden können. Im Lichtenbergblock gebe es solche Garagen bereits“, sagt der Mobilitätsdezernent Michael Kolmer der Frankfurter Rundschau. Die freigewordenen Flächen könnten dann im nächsten Schritt dazu verwendet werden, um Mobilität und die existierende Flächenaufteilung grundsätzlich neu zu organisieren und Alternativen zum Auto aufzubauen, zum Beispiel ergänzende Angebote für Car-Sharing oder Bike-Sharing sowie ausreichend Abstellflächen für Fahrräder und Lastenräder. Auch der öffentliche Nahverkehr spielt bei der Gestaltung und künftiger Mobilität eine Rolle.
Auf diese Weise würden Bewohner und Bewohnerinnen in ihren Quartieren Lebensqualität dazugewinnen, zudem könnten sie und ihre Kinder sich sicherer im öffentlichen Raum bewegen – und all das, ohne gänzlich auf das Auto verzichten zu müssen. „Wir reden explizit nicht über autofreie Quartiere“, betont Kolmer. Wer zwingend auf sein Auto angewiesen sei, könne es auch weiterhin nutzen. Zu den Ansprechpartnern der Stadt gehört auch die Bürgerinitiative »Heinerblocks«, die sich mit alternativen Mobilitätskonzepten in Darmstadt befasst. Um etwa den Durchgangsverkehr aus dem Quartier fernzuhalten, bedürfe es eines Einbahnstraßen-Systems, das Pendler und Pendlerinnen immer wieder direkt auf die Hauptverkehrsstraßen im Umfeld zurückführt. Mittels sogenannter Diagonalsperren und Schließungen von Wegen für bestimmte Verkehrsmittel könne der Straßenverkehr zusätzlich beruhigt und weiterer Platz für den Fuß- und Radwegeverkehr in den Bestandsquartieren geschaffen werden.

Text Hans-Werner Mayer

Die Grafik zeigt eine mögliche Verkehrsführung für den Lichtenbergblock. Grafik: Klimaentscheid-darmstadt.de