Das Büro der Zukunft Teil II

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Seit fast einem Jahr sitzen wir jetzt schon größtenteils im Homeoffice. Auch dieser Text wurde dreieinhalb Meter vom Kühlschrank entfernt verfasst. Aber was bedeutet das für unseren Alltag zuhause? Wie integriere ich meine Arbeit ins Familienleben, in die Partnerschaft, oder die Wohngemeinschaft? Hier allgemeine Ratschläge zu erteilen ist schwierig, denn jede WG, jede Beziehung und jede Familie hat ihre ganz eigenen Strukturen und Dynamiken.

Unfreiwillige Büronachbarschaft im Homeoffice

Die Kommunikation ist unser gemeinsamer Nenner. Ohne Kommunikation läuft im zwischenmenschlichen Bereich gar nichts. Die plötzlich beengten Verhältnisse und die daraus entstehenden Spannungen können Arbeiten von zuhause zu einer echten Herausforderung machen. Deshalb haben wir Marion Gaffron – Beraterin und Coach in den Bereichen Persönlichkeit, Business, und Finanzen – gebeten uns einen Einblick in das Thema Gewaltfreie Kommunikation (GfK) zu geben. Marshall Rosenberg begründete diese Gesprächsmethode und sie wurde bereits in den 1960er Jahren während der Bürgerrechtsbewegung in den USA eingesetzt. GfK findet weiterhin ihre Anwendung in weltweiten politischen Krisengesprächen.

Was meinen wir eigentlich, wenn wir von Gewalt in Kommunikation reden?

Beschimpfen, bedrohen, beleidigen, schreien, erpressen, schweigen, verurteilen, abwerten, ausgrenzen, manipulieren, dominieren sind Kommunikationsverhaltensweisen, die ein Oben und Unten im Gespräch etablieren und ja, Gewalt kann auch von Unten kommen.
Da wir in Kommunikation vornehmlich uns selbst ausdrücken, ist die eigene Person und das eigene Verhalten auch der Ansatzpunkt der GfK. Verändere ich meine Art und Weise zu kommunizieren, kann ich auch einen Gesprächsverlauf ändern. Es gibt hierfür ein 4-Schritte-Programm, das ebenso einfach zu verstehen wie schwierig umzusetzen ist. Denn die Voraussetzung für die GfK ist ein grundehrliches Auseinandersetzen mit sich selbst.

DAS 4-SCHRITTE-PROGRAMM DER GEWALTFREIEN KOMMUNIKATION

1. BEOBACHTUNG

Was sehe, höre, beobachte ich? Beschreiben, ohne zu bewerten und zu deuten. Wie ein Zeitungsreporter.
Beispiel: „Ich höre ein Telefonat am anderen Ende des Zimmers, während ich ein Meeting habe.“

2. GEFÜHL

Welches Gefühl löst das bei mir aus? Ärger, Wut, Ohnmacht, Scham, Trauer, Angst, Schuld, Unzufriedenheit, Einsamkeit o. ä. Beispiel: „Das macht mich unzufrieden.“

3. BEDÜRFNIS

Wenn ich ein negatives Gefühl spüre, ist das oft ein Zeichen dafür, dass ein Bedürfnis von mir nicht gestillt ist. Um dieses Bedürfnis benennen zu können, braucht es in der Regel viel Übung in der Selbstreflektion und Selbstwahrnehmung. Bedürfnisse sind z. B. körperliche Bedürfnisse, wie Ruhe, Entspannung, Schlaf …, aber natürlich auch Bedürfnisse auf anderen Ebenen, wie z. B. Aufmerksamkeit, Anerkennung, Wertschätzung, Liebe, Frieden, Bedeutung, Wirksamkeit, Sinn usw.
Beispiel: „Ich brauche Ruhe während meines Meetings, damit ich mich auf meine Arbeit konzentrieren kann.“

4. BITTE

Bei einem Menschenbild der Gleichwertigkeit habe ich nur die Option, eine Bitte zu äußern. Ich kann der anderen Person nichts befehlen und nicht über sie verfügen. Sie bleibt frei in ihren Entscheidungen und Handlungen!
Wichtig ist, dass die Bitte jetzt erfüllbar, sehr konkret und positiv formuliert ist. Beispiel: „Bitte gehe in die Küche / das Wohnzimmer, wenn du ans Telefon gehst, während ich in einem Meeting bin.“

Zusammengefasst zu einem einfachen Merksatz:

„Wenn ich … sehe / höre / rieche …, fühle ich …, weil ich … brauche. Bitte …“
Beispiel: „Wenn ich während eines Meetings das Telefon am anderen Ende des Zimmers höre, macht mich das wütend, weil ich Ruhe brauche, um mich auf meine Arbeit konzentrieren zu können. Bitte gehe mit dem Telefon in ein anderes Zimmer, wenn ich gerade in einer Onlinebesprechung bin.“

Um so kommunizieren zu können, erfordert es zuerst ein in-mich-Gehen. Ich kann nicht einfach drauf los poltern. Ich nehme eine Distanz zu der Situation ein, indem ich als erstes in die Rolle eines Außenstehenden schlüpfe. Anstatt vorschnell zu interpretieren, bleibe ich stattdessen ganz bei mir, meiner Wahrnehmung und meinen Gefühlen. Das erfordert natürlich Übung, birgt aber auch unglaublich viel Potential mehr über mich und meine Bedürfnisse zu erfahren.

Wie Marion Gaffron so schön passend schreibt: „Hier wächst Selbst-Bewusst-Sein“ mit der Reflektion als Nährboden. Beim letzten Schritt, der Bitte, ist es eine große Herausforderung den Anderen frei lassen zu können. Oft meldet sich hier die Unsicherheit, ob der Andere der Bitte nachkommen wird, oder gar Angst, als Verlierer oder Schwächling dazustehen. In den allermeisten Fällen reagieren unsere Gesprächspartner:innen erstaunt und erschüttert, wenn wir uns verletzlich zeigen und sind allzu gerne bereit der Bitte nachzukommen.

TEXT MARION GAFFRON, KATHARINA OEHMICHEN