
Ein Gespräch mit Dr. Martin Faass, dem Direktor des Hessischen Landesmuseums Darmstadt
Das Hessische Landesmuseum Darmstadt zählt zu den großen Häusern Deutschlands und vereinigt zahlreiche unterschiedliche Sammlungen aus den Bereichen Kunst-, Kultur- und Naturgeschichte. Eine solche Breite an Ausstellungsbereichen verleiht dem HLMD einen besonderen Charakter unter den bedeutenden Museen Europas. 2020 feiert das HLMD seinen 200. Geburtstag!
Dr. Martin Faass ist seit Januar 2019 Direktor des Hessischen Landesmuseums in Darmstadt. Der 56 Jahre alte Kunsthistoriker folgte auf Dr. Theo Jülich, der 2018 verstorben ist. Er ist mit der Journalistin und Fernsehautorin Almut Faass verheiratet und hat zwei Kinder. In Marburg und Berlin studierte er Kunstgeschichte und Germanistik. Seit 1996 realisierte er zahlreiche Ausstellungen für mehrere Museen und war seit September 2006 Direktor des Museums Liebermann-Villa am Wannsee in Berlin.

Herr Dr. Faass, wie haben Sie den Wechsel von der pulsierenden Hauptstadt ins geruhsame Darmstadt verkraftet?
Sehr gut. Ich habe hier viele tolle Leute kennengelernt, die in der Stadt viel bewegen, und weiß die Vorteile einer vergleichsweise übersichtlichen Stadt sehr zu schätzen. Ich liebe es, morgens zu Fuß zur Arbeit zu gehen oder mit dem Fahrrad alles erreichen zu können. Geruhsam finde ich Darmstadt gar nicht. Es gibt eine ziemlich dichte und interessante Kulturszene. Es ist natürlich anders als in Berlin, aber ich wollte ja auch etwas Neues kennenlernen.
Nach der langjährigen Sanierung wurde die Wiedereröffnung des HLMD 2014 groß gefeiert. In den letzten Jahren schien das Publikumsinteresse aber etwas abgeebbt. Womit möchten Sie die Besucher wieder begeistern?
Um Eröffnungen und Wiedereröffnungen entsteht stets ein großer Hype. Alle wollen das sehen, woran jahrelang gebaut wurde, und sind neugierig, wie es drinnen aussieht. Daran anzuschließen und das Interesse für das neue Haus zu verstetigen ist grundsätzlich schwierig und erfordert ziemlich viele Anstrengungen. Damals konnte es dem Landesmuseum aus unterschiedlichen Gründen nur bedingt gelingen, den Schwung der Wiedereröffnung zu nutzen und das Haus dauerhaft in der Museumslandschaft der Metropolregion Rhein-Main zu positionieren. Mit unserem Jubiläumsjahr 2020, in dem wir 200 Jahre Landesmuseum feiern, haben wir nun erneut eine tolle Chance, das Publikumsinteresse auf uns zu ziehen. Wir sind mit unserem umfangreichen Jubiläumsprogramm dabei, unser Haus ganz neu aufzustellen, um auch auch in Zukunft attraktiv und erkennbar zu sein.
Das Landesmuseum feiert unter dem Motto »200 Jahre universales Denken«. Mit welchen Konzepten werden Sie dieses Motto in die Tat umsetzen?
Wir haben ein Ausstellungsprogramm erarbeitet, das die ganze Breite unserer universalen Sammlung abbildet. Wir aktivieren den „Block Beuys“, das weltweit wichtigste Sammlungskonvolut des Künstlers, blicken mit Rembrandt auf die Anfänge der fürstlichen Sammlung zurück, präsentieren mit Tomás Saraceno einen der weltweit gefragtesten zeitgenössischen Künstler und zeigen mit Peter Lindbergh eine Fotolegende. Aus dem Sammlungsbereich UNESCO-Weltnaturerbe Grube Messel können wir dank neuer Techniken ein ganz neues Verständnis des Urpferdchens vermitteln und gehen mit einer Ausstellung über unser Mastodon, „American Heiner“, zu den Anfängen der Entdeckung von Fossilien zurück. Dabei lösen die Ausstellungen Saraceno und „American Heiner“ das Moto besonders gut ein, da sie Kunst und Naturkunde gleichermaßen vereinen.
Ein notwendiger Neubau fiel bisher dem Sparzwang zum Opfer. Gibt es Pläne für eine Realisierung in absehbarer Zeit?
Dass der nötige Neubau nicht gekommen ist, ist schon ein echtes Problem. Das kann der normale Museumsbesucher gar nicht erkennen, der nur die hervorragend sanierten Ausstellungsräume sieht. Aber hinter den Kulissen und in den Arbeitsbereichen der Mitarbeitenden hat die Nichtrealisierung des Neubaus eine Vielzahl von Provisorien und Notlösungen zur Folge gehabt, die uns die Museumsarbeit sehr erschweren und uns zum Teil daran hindern, unserem Museumsauftrag gerecht zu werden. Denn die wesentliche Museumsarbeit findet hinter den Kulissen statt. So kommen wir an viele Objekte gar nicht heran, weil sie in provisorischen Depots in Kisten übereinandergestapelt sind. Auch fehlen uns vor Ort Präparatoren-Werkstätten, in denen wir den Erhalt der wertvollen zoologischen und paläontologischen Sammlungsstücke sicherstellen und sie für Ausstellungen vorbereiten können. Für sie waren im damals geplanten Neubau Flächen vorgesehen. Diese Flächen fehlen uns.
Beabsichtigen Sie die Digitalisierung zu intensivieren, um damit das Außenprofil des Museums zu schärfen?
Digitalisierung ist eines der großen Zauberworte unserer Zeit, und nicht alles was möglich ist, ist meiner Ansicht nach auch sinnvoll. Denn das Museum wird sein Alleinstellungsmerkmal immer in der Begegnung mit dem authentischen Objekt haben. Für die Vermittlungsarbeit der Museen bietet die Digitalisierung aber große Chancen. Durch sie ist es möglich Inhalte bereitzustellen, die zu einem ganz neuen Verständnis der Objekte beitragen werden. Aktuell sind wir dabei in Zusammenarbeit mit der TU Darmstadt einen virtuellen Rundgang durch den „Block Beuys“ zu erarbeiten. Durch 360 Grad-Fotografie wird es dann möglich sein, die sieben Räume virtuell zu besichtigen, die Joseph Beuys ab 1970 im Landesmuseum eingerichtet hat. Dabei wird dem Nutzer eine weitere Vertiefungsebene angeboten, über die er zusätzlichen Content zu den Objekten wie Textinformationen, zusätzliche Bilder, O-Töne von Beuys oder Filmausschnitte abrufen kann. So kann das Werk von Joseph Beuys für viele zugänglich gemacht und neu verstanden werden. Der „Block Beuys“ wird zukünftig auf diese Weise auch über unsere Homepage erreichbar sein. Perspektivisch wollen wir die Darmstädter Räume digital mit Beuys-Räumen in anderen Museen verknüpfen. Das ist ein attraktives digitales Projekt mit Pilotcharakter, mit dem wir dem Profil des Hauses eine ganz neue Facette hinzufügen.
Sie gelten als ein Fachmann für den Jugendstil. Eine Kunstrichtung, für die Darmstadt und vor allem die Mathildenhöhe stehen. Sehen Sie hier Möglichkeiten für Partnerschaften?
Der Jugendstil ist ein großes und wichtiges Thema für Darmstadt. Ich hoffe sehr, dass die UNESCO-Weltkulturerbe-Bewerbung der Mathildenhöhe Erfolg hat. Das würde den Jugendstil noch einmal ganz neu in den Fokus rücken. Da auch das Landesmuseum eine bedeutende Jugendstilsammlung hat, gibt es viele Anknüpfungspunkte für Kooperationen.
Haben Sie schon einen Lieblingsplatz in Darmstadt?
Den Bürgerpark. Von Joggen über Seilbahnfahren bis Biergarten ist hier vieles möglich.
Welche Eigenschaften schätzen Sie an Menschen am meisten?
Optimismus, Begeisterungsfähigkeit und Engagement für die Sache.
Welche Gabe möchten Sie gerne besitzen?
Den Raubbau an der Natur stoppen zu können.
Ihre liebsten Romanhelden oder Lieblingsgestalten in der Geschichte?
Martha Liebermann, die klug und aufrecht den Lebensweg ihres Mannes Max Liebermann begleitet hat und die ihren Ehemann wissen ließ: „Es ist zwar eine Ehre, aber kein Vergnügen, mit Dir verheiratet zu sein.“
Lieber Bier oder Wein zum Feierabend?
Das kommt auf den Anlass an: Bier auf dem Heinerfest; Wein zu einem guten Essen.
Der interessanteste Mensch, dem Sie je begegnet sind?
Sehr interessant fand ich die Begegnung mit dem Chemiker Michael Braungart, dessen Projekt „Cradle to Cradle“ den Wertstoffkreislauf noch einmal ganz neu denkt.
Die netteste Erinnerung an Ihre Kindheit?
Ein Besuch im Märchengarten in Ludwigsburg, wo Könige, Prinzessinnen, Hexen und Riesen heimisch sind.
Welchen Satz hassen Sie am meisten?
Es sind zwei Sätze: Das haben wir noch nie so gemacht.“ „Darmstadt ist nicht Frankfurt oder Berlin“.
Worüber können Sie lachen?
Über den „Hohlspiegel» im Magazin DER SPIEGEL
Schenken Sie den Lesern zum Ende des Interviews noch eine Lebens- weisheit oder ein Motto?
„Es gibt nichts, was man nicht noch besser machen könnte.“
Interview/TEXT Hans-Werner Mayer